Interessierte Lesende, bitte nicht nachfragen, wie Marina Dietz und Andreas Diebold zu dieser Abschrift eines geheimen Handylogbuchs gekommen sind - einfach lesen und staunen!


Handylogbuch Nr. 1, 15. März 2021, 8 Uhr 30, Mitteleuropäischer Zeit, Eintrag Albin Völk:

Ich und mein Begleiter, der SF-Autor Andreas D., wurden ausersehen, an einem Zeitreiseprojekt teilzunehmen. Man wird uns ins alte Rom zur Zeit von Julius Cäsar versetzen. Nur für eine Stunde, und natürlich dürfen wir in kein Geschehen eingreifen, damit kein Zeitparadoxon ausgelöst wird. Aber wir haben die Aufgabe, für den Deutschen Altphilologenverband, den Sponsor des Projekts, zu ermitteln, wie bestimmte Worte des Lateinischen nun tatsächlich ausgesprochen wurden.
Beim Warten auf den „Sprung“ sitzen wir im fensterlosen Raum der Zeitreisekapsel, hören Pink Floyd und lesen Perry Rhodan. Dann verschwimmt plötzlich alles.

---------------------------------

Handylogbuch Nr. 1, 15. März 44 vor Chr. 8 Uhr 40 Relativzeit, Eintrag Albin Völk:

Gleich bei der Ankunft stellt sich heraus, dass die räumlichen Zielkoordinaten nicht stimmen. Dies ist nicht das Forum Romanum. Trotz oder wegen dem Bau des Zeitabstrahlgeräts durch einen großspurigen Investor, sind wir an einer anderen Stelle angekommen. Andreas D. spuckt auf den Boden und sagt nur verächtlich ein Wort: TESLA!

Wir befinden uns auf einem belebten Markt in der Nähe eines Flusses. Diesen können wir zweifelsfrei als den Tiber bestimmen, Google History Earth sei Dank. Allerdings ist es ein voreingestelltes Standbild. Mit Digitalisierung sieht es in dieser Zeit noch schlechter aus als im Deutschland unserer Gegenwart. Nun müssen wir uns eben durchfragen, wir sind ja unauffällig im Stil der Zeit gekleidet, samt der Unterwäsche bzw. dem ungewohnten Fehlen derselben.
Doch jetzt gibt auch der Babelfish, der kleine Universalübersetzer in meinem linken Ohr, mit einem absteigenden Pfeifton seinen Geist auf. Bei meinem Begleiter funktionieren zwar noch die regionalen Dialekte SÄCHSISCH und KLINGONISCH, doch das dürfte uns auch keine große Hilfe sein. Zum Glück habe ich das große Latinum – allerdings werden meine höflichen Fragen „Ubi est…“ von Stand zu Stand nur mit Kopfschütteln und schwer deutbaren Gesten beantwortet. Überhaupt scheint hier niemand Latein zu sprechen!

Mein Begleiter weiß Rat. „Der Dicke mit dem Gemüse da drüben, was der da von sich gibt, das klingt Griechisch, den frag ich mal.“ Ich bin beeindruckt: „Humanistisches Gymnasium, Homer im Original gelesen?“ Andreas D. lächelt bescheiden. „Nein, dreimal Griechenlandurlaub und Stammgast in Kostas Taverne.“

„Um Himmels willen, was hast du denn zu ihm gesagt?“ frage ich wenige Augenblicke später auf der Flucht vor einer unverständlichen Schimpfkanonade und einem Hagel von faulem Obst. Andreas beschuldigt sein Übersetzungsgerät. Es hat sich unvorhergesehen ein- und sogleich auf Sachsenmodus geschaltet, was der Händler vermutlich als Barbarensprache empfand. „Rassisten, antike,“ schimpft Andreas, möchte es aber gleich noch einmal versuchen. Ich halte ihn ab, denn sollte das Gerät auf das harte Klingonisch schalten, hetzt man uns am Ende noch die Ädilen auf den Hals. Wir haben noch 32 Minuten und ich möchte nicht mit einem Schwert in der Brust in die Gegenwart zurückkehren.

------------------------------------

Handylogbuch Nr. 1, 15. März 44 vor Chr. 9 Uhr 07 Relativzeit, Eintrag Albin Völk:

Ich habe mich ein wenig in das Stimmengewirr eingehört und gemerkt: hier wird sehr wohl Latein gesprochen, wenngleich in verschieden eingefärbten, wahrscheinlich regionalen Dialekten. Das sei, erkläre ich meinem Begleiter, so als treffe man als Fremder am Münchner Viktualienmarkt auf das Urbairisch einer Standlfrau. „Urbairisch ? Auf dem Viktualienmarkt?“ Andreas ist amüsiert. „Ja, vielleicht von einer Schauspielerin, wenn da gerade wieder so eine echt Münchner Vorabendserie gedreht wird?“
Ich ignoriere den Spott, die Zeit drängt und ich habe mich mittlerweile dank der vergangenen Lektüre von Krimis, die im alten Rom spielen, an den Stadtplan und den Weg zum Forum erinnert.

Allerdings führt uns die Straße aus dem Zentrum hinaus.
„Schlechtes Gedächtnis?“ fragt mein Begleiter.
„Schlechte Recherche der Historienschinkenverfasser“ gebe ich zurück, und dann bemerke ich, dass auffällig viele Männer mit weißer Toga in die entgegengesetzte Richtung marschieren. Die wollen zum Forum, denke ich, und wir schließen uns an.

Plötzlich sehen wir eine Sänfte stehen. Ein Kopf schaut heraus und redet mit einem älteren, ziemlich dürren Mann, aus dessen Gesten hervor geht, dass er den Mann in der Sänfte vor etwas warnen möchte.
„Die sprechen sicher das Latein, das wir hören wollen, geh näher ran!“ sage ich.
Mein Begleiter hebt die Hand mit dem in einer Armspange integrierten Miniatur-Aufnahmegerät.
„Schau mal,“ rufe ich aufgeregt, „dieser Charakterkopf, der aus der Sänfte guckt, ist das nicht Julius Cäsar?“
„Was, der mit der Halbglatze?“ fragt Andreas zurück.
Ich versuche zu verstehen, was der Mann in der Sänfte zu dem Alten sagt. Es klingt so ähnlich wie:
“Hoc est fake nuntium: non ego sum furto ablatum fuerit a me victorias.”
„Was hat er gesagt?“ fragt Andreas.
„Er glaubt nicht, dass ihn heute eine große Mehrheit mit scharfen Argumenten abwählen wird,“ erwidere ich schnell. „Hast du das wenigstens aufgenommen?!"
Andreas flucht, ganz ohne Universalübersetzer, auf Schwäbisch: „ Glump, vareckts, jetz isch des Doil au no hi…“
In diesem Moment bricht die Verbindung zusammen, wie geplant nach einer Stunde, und wir sind wieder in dem Laboratorium mit der Zeitreisekapsel.

-------------------------------

15. März 2021 9 Uhr 30 Mitteleuropäische Zeit, Albin Völk, Nachtrag:

Während eifrige Assistenten uns desinfiziert, den Blutdruck gemessen und die Kontroll-Elektroden abgenommen haben, frage ich mich, ob das wirklich den ganzen Aufwand wert gewesen ist, nur damit der Deutsche Altphilologenverband jetzt weiß, dass Julius Cäsar weniger Haare hatte als bisher angenommen?

Ich frage das auch meinen Begleiter, und seine Antwort überzeugt mich.

„60 Minuten ohne Corona-Leugner, Impfchaos und Gedächtnislücken von Andreas Scheuer – doch, das war den Aufwand wert.“
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Nachtrag:

Obwohl ein Römerfan und stolz darauf, in einem Haus zu wohnen, durch das einst eine Römerstraße führte, legt unser Autor Andreas Diebold Wert darauf, nicht identisch mit dem im Handylogbuch erwähnten Zeitreisende Andreas D. zu sein. Mit seinen, des Römerfans Diebolds profunden Kenntnissen der Straßenverhältnisse im alten Rom wäre es nämlich nicht zu dem Umweg zum Forum und zu der absurden Begegnung an den Iden des März gekommen.