Glaube versetzt Berge


Ich verbringe den Sonntag Nachmittag in trauter Zweisamkeit, wie sie nur eine extrem gute Beziehung hervorbringen kann. Das heißt, jeder ist mit sich selbst beschäftigt und stört seinen Partner so wenig wie möglich.
Irma sucht im Internet nach einem günstigen Urlaub in den Alpen, am besten in Matterhornnähe, weil sie „mal etwas anderes als den eigenen Garten“ sehen will. Ich zappe mich derweil durch die Weiten der digitalen Fernsehkanäle. Eine, wie Kenner wissen, weitaus günstigere Art und Weise, mal etwas anderes als den eigenen Garten zu sehen.

„Glaube versetzt Berge“ liest der Mann auf dem Religionskanal in aller Ernsthaftigkeit aus der Bibel. Er will noch etwas sagen, doch ich habe schon weitergezappt zu zwei als Tiroler verkleideten Primaten, die inmitten alpiner Bergwelt um die Wette jodeln.

Ich bin irritiert. Glaube versetzt Berge? Ich gerate ins Grübeln. Warum ist Norddeutschland eigentlich so flach? Und vor allem: seit wann! Lag Helgoland einst am Matterhorn? Haben streng gläubige norddeutsche Bauern durch konzentrierten Glauben die Alpen nach Süden versetzt. Gründe dafür gäbe es. Anstatt mühsam steile Berghänge zu mähen, nur noch einfache Arbeiten in ebener Landschaft.
Nach diese Theorie hätten die Norddeutschen die Flurbereinigung erfunden.
Das würde auch den seit Generationen vererbten Hass der Bayern auf die von ihnen Preußen genannten Norddeutschen erklären.

Ich bin vollkommen fasziniert von meiner Hypothese.

Irma seufzt. Wenn Irma im Netz Urlaubsangebote durchforstet und ein besseres Angebot findet, das aber deutlicher teurer ist als ihr vorhergehender Favorit, dann seufzt sie.
5 x hat sie in der letzten halben Stunde geseufzt. Der Urlaub wird wohl sehr teuer werden.

Das Bibelzitat geht mir nicht aus Sinn. Glaube versetzt Berge. Ich versuche, die Probe aufs Exempel zu machen. Wenn ich mich jetzt voll konzentriere, könnte ich vielleicht die Berge zurück nach Norddeutschland versetzen. Das würde Irma abschrecken. Sie möchte ja in den Süden. Als Test beschließe ich, mit dem Matterhorn anzufangen. Diesen Berg versetze ich erst mal vor unser Haus. Eine gute Ehe lebt ja von Kompromissen und wenn Irma Matterhorn möchte, dann soll sie Matterhorn haben.

Ich konzentriere mich. Ich konzentriere mich schwer. Sehr schwer. Strengt ganz schön an, so ein Glaube. So – gleich müsste das Matterhorn im oberbayerischen Weilheim stehen.

Ich blicke aus dem Fenster. Vom Matterhorn keine Spur. Obwohl, der Kackhaufen vom Pekinesen der Nachbarin war vorher noch nicht da. Und wenn man genau hinsieht, mit ein bisschen guten Willen, erkennt man darin die Form des Matterhorns. Insgesamt ist das aber nicht der große Wurf.

Vielleicht muss ich klein anfangen. Und meine Konzentration fördern. Konzentration läuft übers Hirn. Hirn braucht Brennstoff. Ich gehe also in die Küche, um eine Packung meiner Lieblingskekse zu holen. Dabei komme ich an der Spüle vorbei, wo sich Tassen, Teller und Schüsseln zu einem Berg von Geschirr stapeln. Ob ich diesen Berg allein mit meinen Glauben in die Spülmaschine versetzen kann? Es wäre einen Versuch wert.

Zur besseren Konzentration nehme ich sicherheitshalber die Kekse an mich und gehe zurück ins Wohnzimmer.

Nach wenigen Minuten stelle ich fest, dass Kekse, insbesondere Nusskekse viel zur Entspannung, aber wenig zur Konzentration beitragen. Ich reiße mich zusammen und fange wieder an, mich uuuunheimlich zu konzentrieren. Nach der dritten Packung Nusskekse bin ich überzeugt, den kompletten Alpenbogen in Nord- und Ostsee verklappt zu haben.

Irma teilt mir mit, dass sie nun doch lieber ans Meer möchte. Entweder Nord- oder Ostsee. Nach reiflicher Überlegung seien ihr Berge, besonders so hohe wie das Matterhorn viel zu erdrückend.

Ich kratze mich am Kinn. Glaube versetzt Berge. Vom Meer war keine Rede. Ich überlege, wie ich Irma beibringen soll, dass ich gerade die Alpen in die Gegend zwischen Benelux und Mecklenburg-Vorpommern versetzt habe.Und ob sie mich nicht für verrückt hält, wenn ich ihr die Zusammenhänge schildere.

Ich leere die Keksschachtel und blicke erneut aus dem Fenster. Das matterhornartige Häufchen des Pekinesen ist etwas zusammengefallen. Sonst keine Änderung.

Der Geschirrberg in der Küche fällt mir wieder ein. Das wird die Nagelprobe. Hat die Bibel recht? Versetzt Glaube einen Geschirrberg in die Spülmaschine?
Die Nusskekse liegen etwas schwer im Magen. Besonders die dritte Packung. Ich bin so voll auf das Versetzen des schmutzigen Geschirrs in die Spülmaschine konzentriert, dass ich erst 3 Stunden später wieder aufwache.
Mir ist übel. Kommt wohl von der außergewöhnlich hohen Belastung durch permanente Konzentration.

Ich gehe in die Küche. Der Geschirrberg ist weg und die Spülmaschine läuft. Es ist nicht zu fassen, aber die Bibel hat recht. Der Glaube versetzt Berge. War ziemlich anstrengend, zu dieser Erkenntnis zu gelangen, aber insgesamt hat es sich gelohnt.

Ich warte auf ein Lob von Irma, die gerade die Küche betritt. „Ich hab aufgeräumt“, sagt sie, „während du sinnlos Kekse in dich hinein gefuttert und gepennt hast.“

Lob hört sich eigentlich anders an. Dabei habe ich doch nur für sie den ganzen Nachmittag geschuftet. Ich deute auf die Geschirrspülmaschine.

„Das hab ich auch erledigt,“ sagt Irma. „Hätte ich warten sollen, bis du das Geschirr einräumst? Da fehlt mir der Glaube!“

Macht nichts, denke ich und sehe erfreut auf die blinkenden Lichter der surrenden Geschirrspülmaschine. Wie man sieht, reicht es völlig aus, wenn ich ihn habe.