Der Omatrick
Das Mütterlein neben mir auf der Parkbank macht einen leicht gebrechlichen, im Wesentlichen aber einen für ihr Alter recht rüstigen Eindruck. Die Konversation läuft normal ab, es geht darum, dass die Bosheit in der Welt immer mehr zunimmt, ja, man wisse mittlerweile kaum noch, wie man sich gegen die Niedertracht, die man täglich wahrnehme, wappnen kann. Ich nicke zustimmend, zu Wort komme ich ohnehin kaum und wenn, werden meine Worte dezent überhört.
Da klingelt das Telefon. Die Freisprechanlage ist eingeschaltet, so dass ich jedes Wort mithören kann.
„Frau Rottmoser, sind Sie’s?“
Das Mütterlein bejaht.
„Mein Name ist Dr. Wildner, ich bin Rechtsanwalt. Wir haben ein kleines Problem. Moment, ich gebe Ihnen schnell Ihren Enkel.“
Ehe Frau Rottmoser etwas erwidern kann, meldet sich ein junge, weinerliche Männerstimme.
„Oma, ich bin’s. Mir ist etwas passiert. Was Schreckliches.“
Frau Rottmoser bleibt bei dieser Mitteilung außergewöhnlich cool.
„Was ist los, äh… Dieter?“
„Ich hab‘ einen Unfall gehabt und ein Kind totgefahren. Ich komm‘ in Untersuchungshaft, wenn ich nicht 30 000 Euro Kaution bezahle. Aber (jetzt verfällt der junge Mann in heftiges Schluchzen) ich habe doch das Geld nicht…“
Ich zucke nervös mit den Füßen. Das klingt mir verdammt nach dem Enkeltrick. Doch ehe ich Frau Rottmoser warnen kann, legt sie auch schon los.
„Ja, du verzogener Fratz! Ich habe schon immer gewusst, du wirst noch im Knast enden. Deinen Vater, den undankbaren Mistkerl habe ich ja nicht umsonst enterbt…“
„Aber Oma…“
„Nix Oma! Eure ganze Brut taugt nix. Ja, im Gefängnis sitzen, nichts arbeiten und auf Staatskosten in seiner Zelle herumlungern, super. Aber da bist du wenigstens weg von der Straße, Hundskrüppel elendiger…“
„Scheiße“ tönt es noch aus der anderen Leitung. Dann wird aufgelegt.
Ich sehe Frau Rottmoser mit großen Augen an.
„Da schauen’s, gell? Ich hätt‘ gern noch weitergemacht, aber die Jugend heute, keine Geduld mehr. Wissen’s, das war in dem Monat schon der dritte Enkel. Man gewöhnt sich an solche Anrufe und irgendwie macht es ja auch eine tierische Freude, dieses Lumpenpack auszutricksen.“
„Aber sind Ihnen noch nie Zweifel gekommen, ob nicht doch mal einer Ihrer Enkel…“
„Nein,“ sagt Frau Rottmoser, „wie auch? Ich hab‘ ja nicht mal Kinder.“
- Restmüll
- 14.11.2023