Der Kampf um die Deutungshoheit von Populismus und Demagogie zwischen Söder und Aiwanger geht in die zweite Runde. Wird es Markus Söder im Februar gelingen, seinen Vorsprung auszubauen?

Der Kuckuck und der Esel

Februar 2023

Zunächst der Stand vom Januar:

Populistenpunkte Söder: 4 Punkte
Populistenpunkte Aiwanger: 2 Punkte

Demagogiepunkte Söder: 2 Punkte
Demagogiepunkte Aiwanger: 2 Punkte

Gesamt Söder: 6 Punkte
Gesamt Aiwanger: 4 Punkte



Am 4.2.2023 erhöhte Getwitterneigung in Bayern. Söder ist voll in seinem Element: „Wir erleben in Deutschland eine schleichende Deindustrialisierung und steuern auf einen Wohlstandsverlust zu“.

Ja, ja, die Deindustriealisierung. Dieser Begriff ist zur Zeit sehr häufig bei rechtsextremen Medien zu finden, die damit ihre Verschwörungen untermauern. Und weil gut geklaut schon halb getwittert ist, dafür 2 Demagogiepunkte.

Dann folgte, ebenfalls via Twitter noch Kritik an den Grünen: „Grüne Doppelmoral können wir uns nicht leisten.

Das ist nachvollziehbar, seine eigene Doppelmoral kostet uns ja schon genug.

Und nochmal Söder, immer noch am 4.2: „...nicht in Ordnung, teures Fracking-Gas und Kernkraft aus dem Ausland einzukaufen, aber im Inland zu verbieten.“

Wenn es nicht klar wäre, das der Mann Intelligenz aufweist, müsste man ihn einen Volldepp nennen. Es ist die übliche Rattenfängerei, bei der Söder nicht aus Blödheit, sondern aus Berechnung ignoriert, dass es Jahre dauert, bis es von der Fracking-Planung über den Bau zum ersten Verkauf von deutschem Fracking-Gas kommt. Oder ist es vielleicht eine Form von Ehrlichkeit? Ein Eingeständnis, dass der Ausbau von Wind und Sonnenenergie, sowie der Ausbau der Stromnetze in Bayern auch die nächsten 10 Jahre in Bayern nicht vorankommen wird? Wie auch immer, eines steht fest: Gasvorkommen gibt es vornehmlich im Norden, weshalb Söder auch keine Bürgerinitiative zu erwarten hat, die im Jahr der Bayernwahl Stimmen kosten könnte. Dafür gerne 3 fette Populistenpunkte.

Im Maximilianeum lässt er sich eher selten sehen, der Herr Söder, dafür geht er jetzt unter die Podcaster. In der ersten Folge gleich mal mit Harald Lesch. Unter anderem ging es dabei ums Tempolimit auf Autobahnen und um die Frage, ob man damit etwa 6,7 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr gespart werden kann oder – wie Söder meinte – nur 2 Millionen. Lesch konterte, 2 Millionen Tonnen „hätten uns auch schon gutgetan“, worauf Söder das Thema mit "Ich bin jetzt mal total höflich und sag': Ich überleg mir das noch mal" schloss.
Die eleganteste Art „leck mich“ zu sagen. Punkte gibt es dafür aber nicht. Wer sich zu Söder begibt, und ernst genommen werden will, darf sich nicht wundern, wenn er am Teflonhintern abgleitet.

Söder mit unverbindlicher Absichtserklärung auf Twitter: „Bayern ist sozial: Pflege und Medizin sind von elementarer Bedeutung. Seit 2020 haben wir 4000 neue Pflegeplätze gefördert. Künftig sollen nun sogar pro Jahr 1500 statt 1000 neue Plätze dazukommen. Zudem schützen wir unsere kleinen Krankenhäuser…“

Und wenn’s so gut klappt, wie mit den Planungen im Wohnungsbau und mit den Planungen bei Windrädern, dann gute Nacht. 1 Populistenpunkt.

Söders Replik auf Kanzler Scholzens Bemerkung („Wir werden aus der Atomenergie aussteigen. Endgültig. Im April dieses Jahres.“) klingt auf Twitter so: „Das ist pure Ideologie ohne Vernunft! Es gibt keinen Plan woher der Strom dann kommen soll. Die Ampel will lieber Atomstrom aus Frankreich. Das ist reine Doppelmoral.“

Sie wird allmählich langweilig, die stereotype Wiederholung. Bleibt aber so verlogen wie davor. Also einmal noch die Erklärung. Die fällige Wartung der deutschen Atommeiler wurde ausgesetzt, weil sie ohnehin abgeschaltet werden sollen. Lässt man sie weiterlaufen, muss die Wartung nachgeholt werden und dann laufen sie erst einmal auch nicht. Weil die Energiekonzerne die Wartung erfahrungsgemäß nicht aus eigener Tasche zahlen, erhöht sich der Strompreis für die ruhenden Meiler. Macht aber nix, die Schuld an der Strompreiserhöhung wird dann ohnehin auf die Ampel geschoben. Gibt 2 Demagogiepunkte.

Aber hallo, da muss sich Huber Aiwanger aber anstrengen. Und das tut er am 8.2. im Merkur.

Aiwanger über Bürokratieprobleme, die die Energiewende ausbremsen: „Die binde ich in Schweinsleder ein und gebe sie dem Habeck.“ Denn, so Aiwangers Begründung, nicht immer sei der Freistaat für die Hürde, Regel oder bürokratische Vorgabe verantwortlich, oft seien es auch die EU oder – die Bundesregierung. Sagt er und denkt sich dabei, wie schön es doch ist, sich zurückzulehnen und dem Habeck die Schuld gleich für alles, für die bayerische, gesamtdeutsche und für die EU-Bürokratie zu geben. In Schweinsleder. So viel Stil muss sein. Dafür 2 Populistenpunkte.

10.2. Söder: „Bin großer Tierfreund – und sprechende Nilpferde mag ich ganz besonders. Ein Selfie mit Seltenheitswert: mit Amanda!“

Ein Selfie mit einem sprechenden Puppen-Nilpferd, so macht man heute Politik. Kein Wunder, dass er nie Zeit fürs Maximilianeum hat. Übrigens, Amanda sagt er zum Tier natürlich nur vor der Kamera. Privat nennt er das Vieh Hubert. 1 Populistenpunkt.

Hubert Aiwanger am 12.2. via Twitter:
„Den Linken Neidern ist es lieber, das Mietshaus aus bürgerlichem Familienbesitz geht an einen anonymen ausländ. Investor, der dann die Mieten erhöht, die dem Bürgergeldempfänger staatlich bezahlt wird, aus der Erbschaftssteuer des früheren Besitzers. Mittelschicht vernichten.“

Die Namen der linken Neider, die lieber einen ausländ. Investor hätten, bleibt er schon deswegen schuldig, weil es sie nicht gibt. Aber wenn sich doch der Redenschreiber so eine Mühe gegeben hat, einen Zusammenhang aus losen Behauptungen herzustellen… 1 Demagogiepunkt ist es wert.


Was die Wahlen in Berlin angeht, da klingt Aiwangerer ziemlich vollmundig.

„BerlinWahlen2023. Diesmal FREIEWÄHLER statt all diejenigen, die schon ihre Chancen hatten und enttäuscht haben.“

Nach der Wahl – die Freien Wähler waren übrigens mit satten 0,9% dabei - war von ihm nichts mehr zu hören. Also nichts mehr zum Thema Wahl in Berlin. Erst großmäulig, danach Maulsperre. Aber mehr wie einen Populistenpunkt gibt es dafür nicht.

Am 14. Februar dreht Söder auf. „Das generelle Verbrenner-Verbot der EU ab 2035 schadet dem Industriestandort Bayern und den Beschäftigten der Autobranche. Fossile Kraftstoffe zu reduzieren ist richtig, aber neben Elektromobilität bieten auch e-Fuels und Wasserstoff große Potentiale für klimaneutrale Mobilität.“

Wurscht, dass die Automobilindustrie selber schon viel weiter ist. Nicht unbedingt aus Einsicht, eher, weil die ausländische Konkurrenz sie dazu zwingt. Wenn dochTesla schon in Brandenburg Autos baut. Aber das muss der bayerische CSU-Wähler ja nicht dauernd gesagt bekommen. 2 Populistenpunkte.

Aiwanger äußert sich zum selben Thema. „Die rotrotgrüne EU-Entscheidung zum Verbrenner-Aus für Neufahrzeuge ab 2035 führt zur Verlagerung der Autobauer nach Asien und zu Altautos in Europa lange über 2035 hinaus statt Neuwägen. Weil es mit Strom allein nicht funktioniert und Wasserstoff von RotGrün blockiert wird.“

Dass dieses Gesetz von der EU stammt und die EU nicht von RotRotGrün regiert wird, weiß er. Dass Asien bereits E-Autos zu uns exportiert, ignoriert er. 3 Demagogiepunkte.

Söder 22.2. : „Wir stehen für leben und leben lassen und sind keine Ampel-Spießer. Jeder soll nach seiner Façon leben und nicht nach einer grünen Pfeife tanzen.“ Aber wehe den Leute, die nach einer grünen Pfeife tanzen WOLLEN, dann ist es schnell vorbei mit leben und leben lassen. „Bayern ist ein Freistaat und kein Zwangsstaat. Bei uns gilt die Liberalitas Bavariae!“ Hat er das aus dem Plattitüden-Lexikon abgeschrieben oder ist das der erste Versuch einer von KI gefertigten Rede? Wie auch immer, solche Plattheiten reichen für 1 Populistenpunkt.


Söder 22.2. Markus_Soeder - Wahlversprechen
"Bayern hat sich bewusst dazu entschieden, ein Signal für das Handwerk zu setzen. Wir stellen Master und Meister gleich! Wir nehmen die Gleichwertigkeit der Ausbildung ernst. Wenn das Studium kostenlos ist, soll es der Meister auch sein!"

Da freut er sich, der Hausmaster der Zukunft. Aber schau mer mal, was nach der Wahl draus wird.

22.2. Aiwanger dreht wieder auf „Für Grüne sollte ein Fleischverbot und Insektenpflicht eingeführt werden, weil aus dieser politischen Ecke dieser Mist kommt. Bevor gutgläubigen Jugendlichen ein schlechtes Gewissen eingeredet wird um sie in diese Richtung zu drängen, muss klar sein wo es hingeht.“

Wo es hingeht, weiß ich auch nicht. Aber wo es herkommt. Mitnichten von den Grünen, sondern von Nahrungsmittelkonzernen, die gerne das Protein von Grillen und Mehlwürmern als billigen Rohstoff für ihre Produkte nutzen wollen. Diese Proteinarten sind neu in der EU, weswegen selbige ein Zulassungsverfahren eingeleitet hat. Weil keine Gefahr bei Herstellung und Verzehr besteht, darf es nun, mit Kennzeichnung, verarbeitet werden. Was die Grünen damit zu tun haben? Nichts. Und die „gutgläubige Jugendlichen“, die sollen halt gefälligst ihren Kopf in eine Schlachtschüssel stecken, damit sie wieder wissen, was bayerische Spezialitäten sind, vor denen man sich nicht grausen muss. 3 wohlverdiente Demagogiepunkte dafür.

Da kann Söder natürlich nicht nachstehen: „Wir Bayern essen lieber Schweinsbraten statt Insekten und Madenmüsli. Aber wenn ihr das wollt, liebe Grüne, dann könnt ihr das Zeug selber fressen.“ Das klingt nicht so krachledern, eher betont staatsmännisch-moderat formuliert, aber die verlogene Argumentation ist die gleiche. Daher auch 3 Demagogiepunkte.

Und weil er am 22.2. gerade so schön in Fahrt war – immerhin Aschermittwoch – gleich noch einmal Aiwanger: "Bei den Grünen sind starke Kräfte vorhanden, die Deutschland deindustrialisieren wollen. Diese Untergangspolitik wollen wir FW nicht!"

War es bei Söder noch eine schleichende Deindustriealisierung, sind es bei Aiwanger schon starke Kräfte bei den Grünen. Das ist nun NOCH deutlicher vom rechtsextremen Sender „Auf1TV“ abgekupfert als von Söder und inhaltlich ein kompletter Schwachsinn. Daher weitere 3 Demagogiepunkte.

24.2. Söder: „Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind unteilbar und wir treten aktiv dafür ein. Als gläubiger Mensch bin ich überzeugt, dass Gebete auch helfen können. Sie geben Kraft um durchzuhalten, zusammenzuhalten und zusammenzustehen.“

Geld für die Klientel und Gebete für den Rest. Glück für Söder, dass wir keine Heuchelpunkte verteilen.

Weil wir gerade beim Heucheln sind. 25. 2. Aiwanger: „Hab heute einen Mammutbaum gepflanzt als Ersatz für den Baum, den die LetzteGeneration vor dem Kanzleramt umgeschnitten hat. Bäumepflanzenstattkleben!“

Super-Hubert rettet die Welt. Mit einem Populistenpunkt.

27.2. Schon wieder Aiwanger. „Viele, die so weltuntergangsmässig argumentieren hatten eine zu umsorgte und problemfreie Kindheit und Jugend und jetzt bekommen sie Bammel, weil sie ins Erwachsenenalter kommen und es wird ihnen nicht mehr ständig Händchen gehalten. Und jetzt greift Ihr Eure Eltern an.“

Küchenpsychologe Dr. Aiwanger erklärt uns, welche Herdplatte heiß ist. Und bekommt dafür 1 Demagogiepunkt.

Aiwanger ist auch am 28.2. schwer in Aktion. Er postete eine Foto-Serie am Tag des Handwerks. Dazu forderte er: „Niemand soll in Bayern das Abitur bekommen, wenn er nicht einen Nagel in ein Stück Holz schlagen kann.“

Vor der Nagelprobe beim Abitur zittern die Absolventen jetzt schon. 1 Populistenpunkt.

Die Antworten sind teils nicht schmeichelhaft für den Minister. Den aber ficht das nicht an.
„Wer’s kann bitte nachmachen: Nagel mit der schmalen Hammer-Rückseite einschlagen. Aiwanger (einige Nörgler verbreiten ja hier auf Twitter die Behauptung, ich wüsste nicht, wie man den Hammer hält und lästern…ja Jungs, da müsst Ihr früher aufstehen!)“

Leicht behämmert, aber immer schön selbstgerecht. Nur Punkte gibt es dafür nicht.

Am 28.2. zwitschert M. Söder:
„Landwirte wissen selbst am besten, wie sie ihre Flächen sinnvoll bewirtschaften. Deshalb: Schluss mit der bürokratischen Bevormundung durch den Bund. Wir bekennen uns lieber zu regionalen Lebensmitteln, anstatt wie die Grünen Süßigkeiten zu vermiesen.“
Söders Textgenerator war auch schon mal besser. Aber für einen Populistenpunkt reicht es allemal.

Somit haben wir folgenden Stand im Februar 2023:

Populistenpunkte Söder 9

Populistenpunkte Aiwanger 5

Demagogiepunkte Söder 7

Demagogiepunkte Aiwanger 11

Das führt zu einer Gesamtpunktzahl von 22 Punkten für Markus Söder und 20 Punkten für Hubert Aiwanger. Der Kampf ist noch lange nicht entschieden, er bleibt aber spannend. Fortsetzung folgt so gegen Anfang April.