Sich zwischen alle Stühle setzen 2

Wieder einmal ein schönes Beispiel von professioneller Heuchelei: vergangene Woche hat die AfD-Abgeordnete von Storch der Transfrau Tessa Ganserer vorgeworfen, einen für „echte“ Frauen reservierten Listenplatz erschlichen und weggenommen zu haben..
Beatrix Alice von Storch als Kämpferin für die Rechte grüner Kandidatinnen – ist das nicht ein Fall für den "Orden wider den tierischen Ernst?"

Blöd nur, dass ich ihre Begründung, wenngleich aus anderen Gründen, nicht völlig daneben finden kann. Frau Ganserer, die sich weder einer körperlichen Veränderung noch der Prozedur einer amtlichen Bestätigung ihres neuen Geschlechts unterzogen hat, sei, auch wenn sie jetzt „Hackenschuhe und Lippenstift„ trage, immer noch „biologisch und juristisch ein Mann“. Äh, hm, ja eigentlich schon, oder was?

Wobei Frau Ganserer erklärt hat, sie fühle sich eben als Frau und wolle als Frau leben, Punkt. Ja gerne, nur was genau außer ein paar Freiheiten in der Kleiderordnung ist damit eigentlich gemeint? Das Recht auf blöde Anmache am Arbeitsplatz und schlechtere Bezahlung kanns ja wohl nicht sein?

Wie man sich allerdings als heranwachsendes biologisches Weibchen NICHT zu fühlen hat, bekam meine Generation schon früh erklärt. Unsere Bildmeisterin Inga ist als Kind am liebsten mit den Jungs auf Abenteuerexpedition los gezogen, bis es hieß, pfui, ein Mädchen tut das nicht. Ich war ein eher stilles Kind, das schon vor Schuleintritt lesen konnte und alles erreichbare Gedruckte verschlang. Wenn ich dann aber meinen männlichen Altersgenossen logisch beweisen konnte, dass sie uninformierte Deppen waren, hieß es, das ist unweiblich, besserwisserische Intelligenzbestien kriegen keinen Mann, und außerdem können Frauen sowieso nicht logisch denken.
Und sie sollen auch nicht zu ehrgeizig sein, und keine Führungspositionen anstreben, da sie es dort nur falsch machen können: zu weiblich und verbindlich erreichen sie nichts, und hart, energisch und erfolgreich sind sie halt keine Frauen mehr. Ein wiederkehrendes Element in fast allen Biografien meiner Freundinnen, homo wie hetero, war der Kampf gegen diese und andere Bilder.

Solche angeschimmelten Rollenbilder des Weiblichen kann Frau Ganserer nicht meinen. Was verspricht sie sich aber dann vom „Leben als Frau“, abgesehen von „Hackenschuh und Lippenstift“ (die ich, nebenbei, immer lästig fand)? Auch Männer dürfen im Kino heulen, bestätigt mir unser Künstler Melchior. Und über den Ganserer-Satz „Ein Penis ist nicht per se ein männliches Sexualorgan“ grübeln die männlichen Mitarbeiter des Jammertalboten immer noch nach.

Ja, ich gebe zu, ich verstehe einfach nicht, was Frau Ganserer unter "sich als Frau fühlen" versteht. Und ich fürchte, daß es bei eventuell künftig einklagbarer freier Geschlechtswahl faktisch darum gehen könnte, überholte, alte und beengende Kategorien von weiblicher und männlicher Wesensart weiterhin zu zementieren.
Das beobachte ich als Bi-Person und Alt-Feministin (schon wieder Kategorien, aber ich muss mich ja legitimieren) mit Skepsis.

Und ich weiß, dass ich mich damit in das Loch zwischen den Stühlen der AfD und der Grünen setze.
Und es ist klar: beim sich Setzen zwischen Stühle landet man hart auf dem Boden, deswegen führe ich jetzt immer mein persönliches Sitzkissen mit. Unten angekommen habe ich aber durchaus Gesellschaft. Zum Beispiel Freund Melchior, der zwar Martenstein nicht mag, aber meint, der habe recht, wenn er das Tragen von Judensternen bei „Spaziergängern“ zwar geschmacklos, widerwärtig, anmaßend findet, aber nicht –zumindest nicht in klassischer Definition – antisemitisch. Oder die kluge Nachbarin, die Putin zwar grauenhaft findet, aber auch an den kriegstreiberischen Anteil der USA am Konflikt in der Vergangenheit erinnert. Und dazu noch einige andere aus der Zeit und zwischen alle Stühle der zweifelsfreien Positionierung Gefallene...

In dieser freundlichen Umgebung kommt mir plötzlich der Gedanke, ob Frau Ganserer es vielleicht doch nicht so ernst meint, sondern die ganze alte Bildermacherei einfach mal aufmischen will? Damit wäre ihr aber auch ein Platz zwischen den Stühlen sicher, und ich würde ihr ein Extrakissen für einen weichen Fall hinlegen. Und den Orden wider den tierischen Ernst muss sie nicht mit Frau von Storch teilen.