Doch um ein Kinkerklitzchen nur bettelt Peter Panter alias Kurt Tucholsky mit seinem „Pfui“. Ein Kinkerlitzchen, das von jedem von uns erfüllbar wäre.
“Der Herr Posauke hat das Buch vollgemalt. Pfui !“ Nämlich ein Buch aus einer öffentlichen Bibliothek, das hier also von einem anderen vor-gelesen und mit dessen Einfällen garniert worden ist. Was ja, meint Peter Panter, schlichtweg feige sei. Denn der Autor kann sich nicht mehr wehren.

Das Buch, das ich gerade in Händen halte, ist nun freilich ein besonderes Buch. Der Verleger hat es 1984 mühsam verlegt, es ist trotzdem ein grosser Erfolg geworden. Und preisgekrönt. Und der Autor hat den Verlag gewechselt. Vom Wiener Kleinverlag hinauf zu Carl Hanser. Das aber nur nebenbei.
Denn nun kommt ein Leser ins Spiel, ich vermute stark, es war eine Leserin, die so einen miesen Schmierer in die Schranken wies, der dieses Erstlingswerk mit seinen Unterstreichungen befleckte. Pfui !
Hinten, auf der letzten Vakatseite, meldet ein amtlicher Vermerk im Vordruck für „Beschädigungen, Flecken, Anstreichungen u.a.“ im Februar 2016 “Bleistiftunterstreichungen.“ Bleistiftunterstreichungen!!.
Aber drei Jahre später triumphiert jene Leserin : „Alles wegradiert“.Alles wegradiert !!!!

Nun handelt das Buch von Entbehrungen, noch und noch. Von Eiseskälte weit unter 40 Grad unter Null, aber auch Unbeirrbarkeit. Mut, der dem Eingefrorenwerden trotzt, schon fast bis an die Grenze des Irrsinns. Nämlich von einer Nordpol-Expedition von 1873, in der Freiwillige aus Österreich-Ungarn ins Eismeer vorstoßen und zwei lange Polarnächte dort verbringen.

Und dies hat meine Leserin gelesen, es gegen das Licht gehalten, grimmig die Unterstreichungen gezählt. Und je öfter die Helden des Buches in eine Gletscherspalte fielen, um so mehr hat sie mit dem Radiergummi dagegen gekämpft. Auf dass es auch so sichtbar bleibe, wie der Autor es niedergelegt hatte. Weg mit „bedarf näherer Erläuterung“ oder gar „genaue Angaben der Temperatur fehlen hier“ Oder auch nur „Beachtlich !“ oder „Hoho !“

Und dann hat sie, die Radiererin, noch hinzu gesetzt :“Viel Arbeit!“. Ihr Schweiß sei bedankt ! Der Gletscher-Helferin in einer Epoche, als es diese, um 1873, noch gar nicht gab. Aber auch eine stille Heldin des Analogen in dieser verdrahteten Zeit, wo jeder Schulanfänger schon das „Entf“-Zeichen lernt. Lange vor dem Formulieren überhaupt. Und damit auch das Lesen schlichtweg verlernt.

Und dann hat sie ihren Namen noch dazu geschrieben: “Kampfmeier“. Mit Filzstift. Knapp, wie ins Logbuch der Bergwacht.

Mögen noch so viele Österreich-Ungarn in Gletscherspalten fallen, noch so viele preisgekrönte
Autoren den Verlag wechseln: ich verneige mich vor den unbekannten Helfern, die Bücher mit dem Radiergummi schützen wie eine Schneeschleuder.

Das Buch heißt übrigens „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“, ist von Christoph Ransmayr geschrieben und in den arktischen Einsamkeiten der Corona wärmstens zur Lektüre empfohlen. Und wenn man mein Exemplar gegen das Licht hebt, sieht man noch die Bleistiftstriche wie Spuren von Skifahrern.

NICHT zur Nachahmung empfohlen!




Nachtrag:

Diese Darstellung einer kuriosen Buchverschandelung ist KEIN Werk von Melchior, sondern von einem Künstler, dessen Name uns verloren gegangen ist.
Wenn ihn uns jemand nennen kann, würden wir uns freuen,
um den Künstler, nein, natürlich nicht mit Pfui zu beschimpfen, sondern ehrend zu benennen!