Back to the roots
Als Gerhard G. hörte, dass wütende Demonstranten in Baltimore das Standbild von Kolumbus vom Sockel gerissen und in den Hafen entsorgt hatten, war er zunächst irritiert – der Entdecker Amerikas als Urvater des Rassismus? – aber dann verstand er: es genügt nicht, die Statuen einiger Südstaatengeneräle und anderer Sklavenhalter zu schleifen , das Übel musste an der Wurzel gepackt werden, schließlich hatte das Unheil begonnen als dieser Mann amerikanischen Boden betrat.

In seiner Heimatstadt war G. in der Bürgerinitiative engagiert, die mit den Relikten deutscher Kolonialherrschaft aufräumen wollte: Umbenennung der Mohren- in Stern-Apotheke und des Togo-Wegs ins Maiglöckchen-Passage, Entfernung des Gedenksteins für einen Mäzen der Stadt, der aber in dubiose Geschäfte in Kamerun verwickelt gewesen war. Das hatte er bisher für erstrebenswerte Ziele gehalten, aber mit dem Blick in die USA begann er zu zweifeln. Hatte man in seiner Initiative hier das Problem wirklich gründlich genug durchdacht?

Die Kolonialherren aller Länder hatten ihr ausbeuterisches Verhalten gerne hinter dem Vorwand versteckt, die Heiden missionieren zu müssen. Und sie hatten sich damit selbst in die Tradition der Kreuzritter gestellt, die ja ( angeblich, aber in Wahrheit nur um zu plündern!) das Heilige Land von den Feinden des Christentums befreien wollten. Musste man nicht schon da ansetzen?
Mit Schaudern dachte G. an die zahlreichen Grabmäler von bekannten und unbekannten Herzögen und Rittern, all die Wunibalds und Eberhards, von hetzenden Mönchen und Kirchenfürsten, die sich damals auch, direkt oder indirekt, an solchen christlich motivierten Unrechtsunternehmungen beteiligt hatten. Das würde Aufklärungs-und Entfernungsarbeit für mindestens das nächste Jahrzehnt bedeuten!

Und wie würde es seine Kerstin ( G. war mit einer Bremerin verheiratet) aufnehmen, wenn sich bei zeitgemäßer Betrachtung herausstellte, dass ihr verehrter Stadtpatron nicht als tapferer Verteidiger sondern für einen christlichen Aggressor gegen die Mauren gezogen war?
Und selbst wenn man diese fast 6 Meter hohe, unter Denkmalschutz stehende Statue des Bremer Rolands zu Fall bringen würde, wäre die Säuberung wirklich radikal genug? Hätte man damit das Andenken an den wirklichen Verursacher beseitigt?

Doch als er dann mit der Axt in der Hand im Altarraum vor dem großen Kruzifix stand, unter dem er als Bub eifrig ministriert hatte, kamen Gerhard G. plötzlich Zweifel, ob das wirklich die Lösung des Problems wäre.

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Nachtrag
Kaiser Augustus
Eine Warnung an Berliner*innen und andere Kritische:

dieser Kerl auf dem Brunnen mit der ausgestreckten Rechten ist KEIN alter Nazi , sondern ein alter Römer.

Trotzdem bin auch ich der Meinung, dass er weg muss von seinem Brunnensockel mitten auf dem Rathausplatz:
er, Gaius Julius Caesar Octavianus, genannt Augustus, ist nämlich verantwortlich für die Gründung einer Stadt namens Augusta Vindelicorum, zu deutsch: Augsburg, , u.a. meine Geburtsstadt.

(Ich weiß: gebürtige Augsburger, und vielleicht nur diese, werden den subtilen Witz verstehen)