- Restmüll
- 13.05.2024
Als Ehrenamtliche in den Wahlkampf – kann man das noch riskieren?
Unsere Berlin-Korrespondentin Rosi Hees hat es versucht:
Wahlsonntag in Berlin-Friedenau. Vor dem Wahllokal lange Schlangen. Ein Helfer muss die bis auf die Fahrbahn Drängenden in eine Reihe ordnen. Alle lächeln uns zu, und wir lächeln zurück, denn die roten Fähnchen in den Händen der Wahlwilligen zeigen uns, für wen sie heute ihre Stimme abgeben werden – für unsere gute alte SPD, für die wir in den vergangenen Wochen so heftig geworben haben.
Wenn ich allerdings blinzle und mir die Augen reibe, verändert sich das Bild ein wenig: die Menschenschlangen sind immer noch da, aber es ist ein Samstag vor der Wahl und die Leute, die sich vor unserem Info-Stand drängen, warten darauf, rote Entchen angeln zu dürfen. Die schwimmen in einem Bottich neben dem Infotisch, haben metallische Reißzwecken im Rücken und auf dem Bauch eine wasserfeste Nummer. Und wer mit der magnetischen Angel drei rote Entchen erwischt und damit eine höhere Nummer geangelt hat, kann sich eine kleine Prämie abholen. Im Angebot: eine aktuelle Broschüre: „Wo sind die Spielplätze im Viertel“, dann die bekannten Windrädchen und natürlich rote Luftballons. Wenn die Kinder sie dann absichtlich oder aus Dusseligkeit los lassen, sind wir wenigstens im Luftraum unserer Stadt präsent.
„Oh Gott, sind wir schon so verzweifelt?“ habe ich geseufzt, als mir der Genosse aus Spandau diese Enten-Aktion empfohlen hatte. „Und,“ fragte ich weiter, „hat es bei euch irgendetwas gebracht?“
„Keine Ahnung, aber es war mal ein lustiger Tag“.
Lustig war es allerdings auch bei uns. Strahlende Kinderaugen, das Handy wurde wenigstens für ein paar Minuten beiseite gesteckt, und wir hatten Zeit, den Eltern (darunter viele freundliche arabische Familien, Vorsicht, Rassismus!) zu erklären, was eine Partei ist und dass SPD nicht für Schlagende Pöbelnde Deutsche steht.
Für ein paar Stunden konnten wir bei diesem Entchenspiel tatsächlich unseren Alltagsfrust der ehrenamtlichen Wahlwerber und Werberinnen vergessen. Dass wir Klebeaktionen und abendliche Kontrollgänge nur noch zu dritt angehen – geschenkt. Und auch die neueste Form des Pöbelns, eher kurios: Leute halten kurz an, werfen dir ein einziges aber unfreundliches Wort hin und laufen weiter ohne eine Antwort ab zuwarten. Eine Steigerung dieser Unsitte habe ich gerade erlebt: ein Mann kommt im Eilschritt auf den Stand zu und schreit: „Ich bin für das Faustrecht!“ Und während wir noch mit offenem Mund staunen, legt er nach: „Und ich möchte nicht als rechtsradikal eingestuft werden!“- und Abgang. „Und ich bin für die sozial motivierte Ohrfeige!“ rufe ich ihm nach. Oder vielmehr: hätte ich ihm gerne nachgerufen, aber die Antwort ist mir natürlich, wie so oft, zu spät eingefallen.
Ein Genosse vom Wahlkreis nebenan schaut vorbei und bringt aktuelles Werbematerial mit. Es sind Packungen von Einwegtaschentüchern in einer roten Hülle und mit der Beschriftung: „Nicht weinen – wählen – SPD. Nachdem ich die erste Packung bei einem Lachanfall (oder war es doch Weinen?) angerissen habe, frage ich :
„Und, was hast du heute eingesammelt?
“Dreimal Verbrecher, fünfmal Cum ex, zwei Kriegstreiber und ein Arschloch.“
„Keine körperlichen Angriffe?“
„Noch nicht. Die Spuckattacke einer Frau mit einem Chihuahua in der Tasche hat ein günstiger Wind abgelenkt. Der Hund war aber freundlich.“
„Du hättest den Köter gleich offensiv loben sollen. Süßes Kerlchen, ach wie niedlich. Dann nehmen sie wenigstens dein Material mit. Bei Babys funktioniert das auch.“
Jetzt bleibt ein Mann mittleren Alters vor dem Infotisch stehen. Ich setze mein dialogbereites Lächeln auf.
„Cum ex!“ zischt er zwischen den Zähnen hervor und dreht sich auf dem Absatz um. „Et cum spiritu tuo!“ rufe ich ihm nach, und mache für heute Feierabend.