Gutmenschen en vacances

Ich kann es mir ja selber nicht erklären: War es die Hippiezeit, in der ich aufgewachsen bin? Das Blowinginthewind-Geklampfe, mit dem wir nächtelang Lagerfeuer nieder- und walleklamottentragende Mädels angesungen haben? War es Kanzler Willy? Das CS-Gas-Inhalieren am Wackersdorfer Bauzaun, das ja ungeheuer auf die Birne ging? Oder später dieses ganze linksgrünversiffte Regierungsestablishment, das uns dazu gebracht hat, mit dem Mülltrennen anzufangen und Pfand für Dosen zu zahlen? Keine Ahnung. Klar ist nur: ich bin in all den Jahren das geworden, was die Rechtspöbler einen Gutmenschen nennen.
Ich kümmere mich um Syrer, finde die AfD erbärmlich, dämlich und mental ausgefranst, kaufe im Supermarkt immer was für die Lebensmittelbox, auf der „Für Flüchtlinge steht“, halte den Klimawandel nicht für Fake News, beziehe Ökostrom, heize mit Holz - und überlege schon jetzt, ob von der extra Rentenversicherung, die in ein paar Jahren fällig wird, ein E-Auto angeschafft wird.
Und ich finde das viele Plastik im Meer sowas von daneben.
Als wir neulich mal wieder in Spanien auf einem Campingplatz waren (unser Wohnmobil hat einen Partikelfilter und die grüne Plakette), fanden wir nach einem starken Sturm am Strand jede Menge Plastik. Wir fingen an, es einzusammeln. Teile von alten Fischernetzen, Trinkhalme, Wasserflaschen, Styroporfetzen, sogar ein Teil von einer Automittelkonsole war dabei. Am Ende waren ein paar Plastik(sic!)tüten voll, mit denen wir zum nächsten Strandmülleimer schlenderten, wo uns ein württembergischer Touri kopfschüttelnd entgegenhielt, dass das ja wohl nichts bringe bei der Menge Zeugs, die da so überall im Meer herumschwimmt.
Wir hätten was sagen können, haben ihn aber ignoriert.
Wir lassen uns aus unserem Gutmenschsein nicht rausbringen.
Da tauchte eine Nachbarin vom Campingplatz auf, die mit Mann, Kind und Hund in einem uralten, umgebauten Benz-Postbus als Reisebloggerin unterwegs ist und immer rohe Karotten kaut.
Sie fand es wirklich „suuuuuupppi!“, dass wir das Strandplastik eingesammelt hatten. Als wir so ins Reden kamen über den nahenden Untergang der Welt, fragte sie, ob unser Hund Fleisch isst. Unser Hund bejahte.
Die Nachbarin verfiel in einen sanft tadelnden Ton. Ihren Hund habe sie, wie übrigens die Ernährung der ganzen Familie, „schon lange auf vetschi“ umgestellt, wegen der Massentierhaltung und des Methangases und wegen der gerodeten Urwälder in Brasilien. Außerdem trage sie nur recycelte Klamotten aus Meeresplastik, das nachweislich aus einer vermüllten Bucht in Indonesien stamme. Ihre Wohnung habe sie vermietet, der Tiny-House-Benz mit Solaranlage fürs Handyladen genüge der Familie: „Ist ja auch besser für das ganze Klima, im Winter sind wir eh in Spanien, da müssen wir nicht heizen.“ Als sie uns dann noch über unseren CO2-Abdruck ausfragen wollte, drückte ich ihr einen leeren, großen Müllsack in die Hand. „Magst du vielleicht“, fragte ich, „morgen mal am Strand aufräumen?“