Liebe Hochschule für bildende Künste in Hamburg,

zunächst einmal bin ich angenehm überrascht davon, dass es bei Ihnen eine Schule für Folgenlosigkeit gibt. Durch eine ganz ähnliche Schule bin ich in meinem beruflichen Dasein als Journalist gegangen. Deswegen finde ich es gut, dass man die Folgenlosigkeit seines Tuns bei Ihnen erlernen kann, ohne gleich Journalist werden zu müssen.

Der Grund, weshalb ich mich an Sie wende, liegt in dem Stipendium das Sie ausgeschrieben haben: 1600 Euro soll man bekommen, wenn man triftig begründen kann, was man für eine gewisse Zeit lang nicht zu tun gedenkt. Das spornt mich dazu an, endlich zu vollenden, was ich mir schon lange vorgenommen habe.

Bitte, helfen Sie mir mit der Vergabe dieses Stipendiums dabei, mich von einer Sucht zu befreien, in die ich durch meine unbedachte Berufswahl selbstverschuldet geraten bin. Selbst nach dem Rückzug aus dem Berufsleben kann ich nicht anders als „7/24“, wie man heute so sagt, alles zu konsumieren, was mit Nachrichten zu tun hat. Allein wenn meine von der Flut der Worte und Bilder gemarterten Synapsen nicht mehr können, finde ich allenfalls unruhigen Schlaf - und träume weiter vom Rezipierten. Trumps neuer Slogan: „Only my live matters“, die Pandemie gibt es nur, weil die Erde eine Scheibe ist, Eckhart und Nuhr fordern Cancel Culture für sich, Regenwald brennt und bei uns der Aluhut, Scheuer gegen Tempo 130 bei Corona-Schnelltests, Putin kriegt kein Virus, weil er KGB-Tee trinkt, BILD erklärt sich wegen dramatisch steigender Dummheits-Neuinfektionen in der Redaktion zum Risikogebiet, Gates verlangt Maskenpflicht für Apple-Nutzer, Erdogan annektiert griechische Kneipe in Leverkusen nach Fund von Gasflaschen, Scholz gesteht: Habe mit Merkel ein Kind, es heißt Kevin, ist bei den Jusos und will Kanzler werden...

Sie sehen schon: In mir gerät alles durcheinander. Allein komme ich da nicht raus. Bin ein Nach-richten-Junkie, der schlechten Stoff erwischt hat und ins immerwährende Aufregerthemendelirium abrutscht. Bevor ich nicht mehr zu retten bin: Geben Sie mir dieses Stipendium fürs Nichtstun! Und die 1600 Euro sollen auch nix tun. Ich lege sie bei Wirecard an.

Falls aber dieser vegane Koch aus Berlin oder ein Abgeordneter der AfD gerne Ihr Stipendium hätte, ziehe ich schweren Herzens meine Bewerbung zurück.

Ich erwarte freudig Ihre Nachricht.

Herzlichst
Rolf Thym