Ein Kleid, das sie heute einen Schlafrock nennen,
tragen sie morgen zum Tanze, und umgekehrt.

Heinrich von Kleist


Eigentlich wollte ich nur ein Nachrichtenmagazin lesen, um relevante Dinge des Zeitgeschehens zu erfahren. Selten genug nehme ich mir das vor, weil sich die Verflachung des Geistes auch in den einstigen Größen des Printmediums wider“spiegelt“.

Nun haben sie also dieser Tage beim SPIEGEL gemeint, dem Modemacher Wolfgang Joop ein Forum zur Präsentation seiner nicht vorhandenen Gedanken geben zu müssen und achselzuckend hingenommen, dass er seinen persönlichen Geschmack als Naturgesetz verkauft.

Vielleicht muss es ja Menschen geben, die anstelle von Synapsen und Nervenknoten Schnittmusterbögen im Gehirn tragen. Ich möchte deren Absonderungen aber nicht präsentiert bekommen - und schon gar nicht in einem sogenannten Nachrichtenmagazin. Allerdings – da bin ich ganz Schwabe - „zahlt isch zahlt“ und jetzt wird es auch durchgelesen.

Es findet sich kaum ein Satz in diesem Interview, in der Joop nicht seine Dekadenz zur Schau trägt, mit einem Stolz wie ein überteuertes, stinkendes Parfum.

Joop wünscht sich Robert Habeck mit Krawatte.

„Es gibt Berufe, da erwarte ich eine gewisse Perfektion. Chefarzt etwa. Oder kommender Vizekanzler. Wenn einer sich schlampig anzieht, dann denkt er auch schlampig, so sehe ich das.“

Aha. Ein vom Hals herab hängender Bändel ersetzt also die ruhige Chirurgenhand. Oder ist die Voraussetzung dafür. Warum aber ein Vizekanzler, der sich (nach Joopschen Maßstäben) schlampig anzieht, auch schlampig denkt, das ist eine ebenso unbewiesene Behauptung, wie meine Behauptung, dass Joop nackt war, als er das behauptet hat, so hirnlos-nullmäßig ist das gedacht.

Übrigens waren es zum allergrößten Teil sehr gut angezogene Krawattenträger, die uns in diverse Krisen gestürzt haben. Da brauchen wir nur an die Finanzkrise zu denken, wo der aufgekrempelte Hemdsärmel nur von den Handlangern aus der Investmentbranche getragen wurde. Aber das nur nebenbei.

„Ich habe bei Lagerfelds Tod geweint, weil diese Welt so wunderbar frivol und frigide war. Alles war käuflich.“

Aber war sie nicht eher geldgeil und gierig? Oder fad und verlottert? Ach, was soll's.

„Die Agenturen gaben die Schlüssel zu den Zimmern der Models, die nicht so viel Geld brachten, an reiche Männer. Und wenn sich ein Mädchen beschwerte, hieß es: Wir können auch auf dich verzichten.“

Immerhin jetzt ist einer der drei Interviewer des SPIEGEL kurz aufgeschreckt: „Aber das ist doch fürchterlich!“

„Ja. Aber wirklich schön ist die Modewelt nur, wenn es auch die Sünde gibt.“

Schamgrenzen sind dem SPIEGEL fern. Und so fragen sie einfach weiter, anstatt angewidert den Raum zu verlassen. Oder den zuständigen Staatsanwalt zu benachrichtigen.

Schon einmal, vor gut 20 Jahren, durfte sich Joop im SPIEGEL zu seinen Geschmacksfragen äußern. Während damals die Medien voll waren mit Berichten von magersüchtigen und suizidgefährdeten Mädchen, die dem geforderten Schönheitsideal nicht entsprechen konnten, protzte Joop sinngemäß mit den Worten, dass er es war, der mit den dicken Models aufgeräumt hat, die man ja nicht ansehen konnte.

Seit damals lese ich den SPIEGEL nur noch unregelmäßig.

Jetzt noch seltener.