Herr Schneyder, gleich eingangs eine Frage, deren Beantwortung schon mal tief in Ihren Charakter blicken lässt. Wie halten Sie es mit der Unterhaltungsbranche?
Schneyder:
Das Publikum hat ein Recht auf Unterhaltung. Weil man unter Unterhaltung eben alles versteht, was unterhalb der Ebene Haltung möglich ist.
Nun ja, ich denke, das Publikum frisst auch Qualität, wenn man es ihm vorsetzt. Im Zweifel entscheidet es sich halt eher fürs Seichte. Dem tragen die Programmdirektoren Rechnung.
Schneyder:
Wer seinem Publikum andauernd hinterher läuft, sieht auf Dauer nur dessen Arsch. Es gibt Fernsehredakteure, die haben es noch nie gesehen, das Gesicht des Publikums.
Also besser ganz auf den Fernseher verzichten?
Schneyder:
Das Fernsehen ist eine Prothese für die häusliche Dialogschwäche.
Wobei Sie ja auch ein Teil des Mediums Fernsehen sind, wenngleich nicht gerade im unteren Niveausegment.
Schneyder:
Wir waschen unsere Hände in Mitschuld.
Und wie steht es um die Printmedien? Da gibt es ja immer noch liberale Haltungen.
Schneyder:
Liberal nennt man eine Zeitung, die auf der ersten Seite die Entwicklung bedauert, die sie im Wirtschaftsteil erfolgreich fordert.
Na dann ist es auch kein soo großer Unterschied mehr zum Blatt mit den großen Buchstaben. Hauptsächlich wohl in der Form.
Schneyder:
Ein Bildzeitungsredakteur bekommt Lob von seinem Chef:
Großartig, wie sie die Schlagzeile „Deutsche Bäcker protestieren gegen Nachtbackverbot“ zu „Deutsche Bäder protestieren gegen Nacktbadeverbot“ umgestaltet haben.
Ich bin immer wieder überrascht, wie sehr manche Ihrer Texte sich über den Tag, übers Jahr und sogar über die Jahrzehnte gehalten haben. Wie zum Teile Ihres Liedes aus den 70iger Jahren, nämlich „Schlafen Sie gut, Herr Tucholsky.“ Zum Beispiel...
Schneyder:
...Das Kapital hat längst seine Gewerkschaft - und die Gewerkschaft hat ihr Kapital.
Die Linken kultivieren ihre Sekten – und die Faschisten steh'n im Wartesaal.
Ein Mensch mit ausgewiesener Moral wie Sie hat natürlich auch Feinde. Wie gingen Sie mit einem Feind um?
Schneyder:
Ich wollte ihn bis an sein Lebensende verfolgen. Aber der Feigling lief nicht davon.
Was sagen Sie, wenn wenn Ihnen jemand zu nahe kommt?
Schneyder:
"Warum drohen Sie mir? Ihre Existenz genügt doch."
Hätten Sie auch ein paar private Aphorismen für uns parat? Vielleicht so drei Stück?
Schneyder:
Wir machen immer einen Fehler. Wir investieren Gefühle, statt sie zu verschenken.
Er kam weit herum. Vom Hundertsten ins Tausendste.
Ein Menschenfresser kann mich nicht beleidigen, sagte der abgenagte Intellektuelle.
Vielleicht noch einen Satz über kommende Generationen.
Schneyder:
Die Jugend ist narzisstisch? Wen soll sie denn lieben?
_Eines Ihrer für mich besten Lieder heißt „Heute nichts von Politik“. Andererseits kommt man bei Ihnen um Politik nicht herum. Als Kompromiss steht die Politik deswegen am Ende.
Bitte ein kurzes Statement zu:_
...Amerika.
Schneyder:
Das amerikanische Doppelverdiener-Prinzip: sich am Frieden verdient zu machen und gleichzeitig am Krieg zu verdienen.
...Europa:
Schneyder:
Europa besteht aus Staaten, die sich nicht vorschreiben lassen wollen, was sie selbst beschlossen haben.
...und über politische Systeme:
Schneyder:
„Sie haben zu wählen“, sagte der Diktator und zeigte auf Wahllokal und Gefängnis.
Die Sonne geht im Osten auf, wandert entsetzt weiter, erträgt auch den Westen nicht und geht endgültig unter.
In Ihren Denkschablonen ist offenbar kein Platz für eine heile Welt.
Schneyder:
Viele verwechseln heile Welt mit heiler Provinz.
Geht es noch pessimistischer?
Schneyder:
Nach Gangsterkriegen kann es leider nur Gangsterfrieden geben.
Herr Schneyder, wir danken für das Gespräch...obwohl, wir haben noch gar nicht über die Wirtschaft gesprochen. Und über ihre Bosse mit ihren Karrieren.
Schneyder:
Wenn Karrieren schwindelnde Höhen erreichen, ist der Schwindel häufig nicht mehr nachzuweisen.
Aber jetzt ganz zum Abschluss Ihr Lied über die Bankenkrise. Bedenkt man, dass es nicht im Jahre 2008, sondern 1973 geschrieben wurde, kann man alle Hoffnung auf Besserung als naiv abschreiben.
Eine Bank machte Pleite,
bald darauf eine zweite,
und das hat mich doch leicht enerviert.
Meine Bankier sagte: „Hör'n Sie,
solche Meldungen stör'n Sie,
Sie wissen doch, dass nichts passiert.
Das war nur eine Ausnahm',
weil da wer zuviel rausnahm,
und die Fachwelt ist ganz konsterniert.
Aber richtige Banken
kommen niemals ins Wanken.
Nein, Ihr Geld ist sehr gut observiert.
Sicher! Geld ist immer sicher.
Bleibt nur die Frage: sicher für wen?
Doch da kam es beizeiten
noch zu weiteren Pleiten
und die Fachwelt war ganz irritiert.
Mein Bankier sagte: „Ehrlich!
Das ist ganz unerklärlich.
Eine Schande, dass so was passiert.
Denn die Bank ist im Grunde
an dem Staat das Gesunde.
Alles andre ist dagegen krank.
Und ich sag': schaut ein Bankhaus
einmal wirtschaftlich krank aus,
nein, dann ist das keine wahre Bank.“
Sicher! Geld ist immer sicher.
Bleibt nur die Frage: sicher für wen?
Aber dann gab's ein Krachen,
da war nichts mehr zu machen,
dieser Krach hieß totaler Ruin.
Mein Bankier sagte: „Schau'n Sie,
ich sag' Ihnen, vertraun'n Sie
nur auf mich, bis ich wieder wer bin.
Nur nicht die Nerven verlieren,
das System kritisieren.
Unsre Wirtschaft, die hat sich bewährt.
Bitte nur keine Neuheit.
Auch Verarmen ist Freiheit!
Denn mein Vater hat mich schon gelehrt:
Sicher! Geld ist immer sicher.
Bleibt nur die Frage: sicher für wen?“
Nun schlafen auch Sie gut, Herr Schneyder und grüßen Sie Tucholsky von uns.
Sie werden uns fehlen.
Sie fehlen schon jetzt.
- Restmüll
- 23.03.2019