Am Rande (2)

Proteststurm in Oberammergau! Nein, es geht ausnahmsweise nicht um das Thema „kulturelle Aneignung“, weil der Christus kein echter Jude ist. Es geht auch nicht darum, ob die Jungfrau Maria nur von einer echten Jungfrau gespielt werden darf. Die Zeit, als die Oberammergauer Gemeinderäte noch persönlich überprüft haben, ob die Darstellerin der Maria tatsächlich Jungfrau ist, liegt weit zurück.

Dass Frauen bei den Passionsspielen die gleichen Rechte haben wie Männer, das ist gerade mal 30 Jahre her. Und bis es soweit war, gab es lange und böse Diskussionen zwischen Traditionalisten und Modernisten. Noch 1983 schrieb der SPIEGEL: Bei den Oberammergauer Passionsspielen haben Frauen auch weiterhin nichts zu sagen - laut Bayerischem Verfassungsgerichtshof mit Fug und Recht.

Die Zeiten haben sich geändert. Aber eines ist noch immer gleich: Christus reitet auf einem Esel in den Showdown von Oberammergau.

Die Tierschutzorganisation PETA, die schon aus Prinzip Tierrechte über Menschenrechte stellt, hält den fünfminütigen Einsatz des Esels, auf dem Christus dem Ende entgegen reitet, für Tierquälerei. Dagegen soll nun, kurz vor Eröffnung der Passionsspiele 2022, noch einmal kräftig protestiert werden.

PETA dringt auf einen E-Scooter als Ersatzesel, der auch einem übergewichtigen Christus gewachsen wäre und möchte damit in Oberammergau eine Art Aktionskunst veranstalten. Anschließend werden vermutlich von einem Zauberkünstler Brot und Tofustäbchen für 5 000 Demonstranten vermehrt. Was aber wohl nicht nötig ist, denn solchen Zuspruch hätten sie zwar gerne, haben sie aber nicht.

Auf der Homepage von PETA finden wir folgende Zeilen: Bei den Passionsspielen in Oberammergau ab 14. Mai 2022 wird Esel Sancho durch einen anderen Esel ersetzt. Sancho habe sich geweigert, den Jesus-Darsteller auf der Bühne zu tragen. Erneut zeigt sich, dass Tiere nicht freiwillig an Bühnenaufführungen teilnehmen und nicht dazu da sind, dass sie uns unterhalten.

Auch bei PETA wechseln mitunter die Esel, auch wenn sie nur zwei Beine haben und ihre Umwelt zwar nicht retten, ihr aber ordentlich auf die Nerven gehen. Man erinnere sich nur an den Fotografen, der einen Primaten ein Selfie machen ließ, das Bild veröffentlichte und deswegen von PETA verklagt wurde – im Namen des Affen, der angeblich die Rechte an seinem Bild besaß. Die Prozesskosten drohten den Fotografen zu ruinieren, der Primat hingegen soll nicht einmal die Achseln gezuckt haben.

Was den Hahn angeht, der 3 x krähen muss, der kommt im Stück auch ohne PETAS Zutun gar nicht vor. Historiker vermuten, dass der Gockel gleich nach der Premiere des ersten Festspiels von einem hungrigen Oberammergauner entwendet und verspeist wurde. Bereits ab der zweiten Vorstellung galt das Drama in gockelloser Form dann schon als Tradition. Dabei hatte es großes Können gebraucht, den Hahn 3 x zur vorgegebener Zeit zum Krähen zu bringen. Wobei es – selbst für die damalige Zeit – grenzwertig war, einen Hahn so zu dressieren, dass er den Schnabel hält und nur dann kräht, wenn man ihm eine Schwanzfeder ausreißt. Durch den Ausfall des Gockels wurde der eigens erfundene Beruf des Oberammergauer Hahnenschwanzausreißers durch den des Stimmenimitators ersetzt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der eben gelesene Abschnitt um den Hahn ist übrigens frei erfunden. Aber er ist auch nicht viel absurder wie die geforderte PETA-Realität mit Christus auf modernem Antriebsgerät.

Warum muss es ausgerechnet ein E-Scooter sein, der den Esel ersetzt? Ein Roboter in Eselsgestalt würde es doch auch tun. Man könnte ihm ja eine originale Eselstimme einprogrammieren. Aber dem würde wohl gleich ein neuer Shitstorm folgen. Wegen tierischer kultureller Aneignung. Oder Missbrauch einer unschuldigen Tierstimme.

In Oberammergau beginnt man zu verzweifeln ob der steten Einmischung in innerdörfliche Angelegenheiten.

„Erst haben sie uns die Frauen aufgedrängt und jetzt wollen sie uns den Esel nehmen.“